Arte Hotel Bregaglia

Samstag 7. Juni und Sonntag 8. Juni 2014

Präsentation der Neuerscheinung «Arte Hotel Bregaglia 2010-2013»

‹Zwischen der Zeit›

«Still die Milch, sie rinnt, entrinnt der Dunkelheit des Krugs, da eine Hand ihn stützt, die andere ihn am Henkel senkt, das Brot ist weiss, das Licht, es rinnt als Milch, die Hände atmen, wanken leicht, es wankt das Rinnsal Milch, das in die Schale sinkt, den Krug verlässt, der voll nie war, der leer nie wird, endlos ohne Anfang, in jenem Zwischen, das währt, da Reflexe auf vom Grund der Schale steigen, die stets empfängt, die nie sich füllt mit Milch, die rinnt, es bleibt, bleibt blau der Rock und gelb das Shirt, fast weiss im Schein, der wankt, der Tisch, er trägt, ist Holz, die Schale Ton, das Brot ist Brot und spiegelt hell die Wiederkehr als Unvergänglichkeit.»

Dieser kurze Text des österreichischen Schriftstellers Michael Donhauser, der vom Gemälde ‹Dienstmagd mit Milchkrug› (1658–1660) des holländischen Barockmalers Jan Vermeer handelt, entstand für die Videoarbeit von Judith Albert. Diese war 2009 gemeinsam mit Daniel Spoerris ‹Fallenbildern› im Bündner Kunstmuseum zu sehen.

 

Judith Alberts Umsetzung des Motivs ist beeindruckend. Der zwanzig Sekunden lange Loop zeigt immer dieselbe Szene: eine Frau, die unaufhörlich Milch in eine Kanne giesst. Der Krug wird nie voll, nie leer – wir sehen eine endlose Geste, die ausserhalb oder zwischen der Zeit steht. Die Kleidung der Frau und die Raumausstattung wirken altmodisch, lassen sich aber keiner historischen Zeit eindeutig zuordnen. Ob die Milch heute, vor fünfzig oder vor dreihundertfünfzig Jahren in die Kanne gegossen wurde, spielt demnach keine Rolle: Es geht ja gerade um Unvergänglichkeit. Die beiden linearen Medien der Videoarbeit – Michael Donhausers Text als gesprochenes Wort und Judith Alberts Film – übersetzen die Aussage von Jan Vermeers statischem Bild treffend. Sie beschränken sich auf den Ausschnitt und die zentrale Geste des Milch-Eingiessens und stimmen dabei mit der Szenerie getreulich überein. Die Videoarbeit macht die Faszination in ihrer beruhigenden und fesselnden Wirkung spürbar, die dieses unendliche Auffüllen der Kanne auslöst – und die Poesie.