Arte Hotel Bregaglia

Samstag 7. Juni und Sonntag 8. Juni 2014

Präsentation der Neuerscheinung «Arte Hotel Bregaglia 2010-2013»

‹Limone›

In ‹Limone› ist auf einem Terrakotta-Stein ein Ensemble von gestückelter Zitronenschale, Zitronenschnitzen, einem Zitronenblatt und Stiel arrangiert. Die Szenerie besticht in ihrer Farbintensität und lässt an ein mediterranes Ambiente denken. Die Härte des Steins, die Weichheit des Blatts, der Saft und die Säure der Zitrone, die gesprenkelte Oberfläche der Schale sowie der authentische Ton zeichnen das stimmige Videobild aus.

 

Doch zur anfänglichen Schönheit natürlicher Formen und Farben gesellt sich alsbald eine verblüffende Komponente hinzu: Die Hände der Künstlerin kommen ins Bild, fassen zwei Zitronenschnitze und fügen diese zusammen. Die Behutsamkeit, mit der die Hände Teil für Teil ähnlich wie ein Puzzle zusammensetzen, täuscht beinahe über die Unmöglichkeit der Handlung hinweg: Erst allmählich tut sich dem Betrachter auf, dass es sich um einen rückwärts abgespulten Film vom Schälen einer Zitrone handelt. Stück für Stück wird nach den Zitronenschnitzen auch die Schale angeklebt, so scheint es, bis die Zitrone (wieder) ein Ganzes ist. Nachdem auch der Stiel und das Blatt angefügt sind, verschwinden die Hände aus dem Bild und die Zitrone liegt, scheinbar unberührt, im Schein der Sonne – als würde sie darauf warten, geschält und verbraucht zu werden.

 

Häufig sind es Handlungen des Alltags, denen sich die Künstlerin und Lyrik-Liebhaberin Judith Albert mit ihren kurzen Videoarbeiten, poetischen Kurzformen gleich, annähert. Im Rahmen des Videobildes gibt sie dabei einfach strukturierte, von ablenkenden Elementen freigestellte und im farblichen Einklang perfekt abgestimmte Szenerien wieder. Die stimmungsvolle Leichtigkeit der Mise-en-scènes überdeckt auf den ersten Blick die Tiefendimension, welche den Werken eigentlich zugrunde liegt und die ihnen schliesslich die Banalität des Alltags wieder nimmt.

 

Dabei lässt Judith Albert in ihren Videos nur wenig geschehen und überrascht mit unerwarteten Folgen und Inhalten. Hierfür geht sie mit videotechnischen wie bühnenspezifischen Mitteln vor: Geschwindigkeiten werden verändert, Bewegung wird stillgelegt oder Stilles wird in Bewegung versetzt, eine auf den ersten Blick stimmige Szenerie wird mit unpassenden Requisiten konfrontiert, Bekanntes wird in seine Komplementärfarbe getaucht. Es passieren Dinge, die eigentlich nicht sein können. Kurzum: Sie verändert die Vorzeichen. In ‹Limone› ist es schlicht ein «Rewind» statt eines «Forward», ein Minus im Zeitverlauf statt eines Plus. So gebietet sie in einer poetischen Verkleidung mit den videotechnischen Mitteln dem Zeitverlauf Einhalt.

 

An derselben Stelle in der Eingangshalle des Hotel Bregaglia waren in den letzten drei Jahren im Rahmen der Ausstellung «Arte Hotel Bregaglia» drei andere kurze Videoarbeiten von Judith Albert gezeigt worden. ‹Limone› ergänzt die Reihe, in der die Künstlerin sich auf Augenblicke zentrierte, diese in einem Loop immer wiederkehren liess und so die Zeit bannte. Oder, wie es Angelika Affentranger treffend formuliert hat, «die Zeit mit sanften Bewegungen anstösst».