24.08.13 bis 21.09.13
Halbautomat
Halbautomat
L'ECLATC'EST MOI. Jules Spinatsch isländische Skandalforschung.
Der Künstler Jules Spinatsch operiert meist mit dem Medium Fotografie, das er immer wieder auch in räumliche Gesamtinstallationen integriert. In der 5. Einzelausstellung, die Spinatsch für die Churer Galerie Luciano Fasciati konzipiert hat, ist nun ein Ensemble zusehen, das zwar aus Einzelwerken besteht, in der Gesamtheit aber dem langjährigen Untersuchungsgegenstand der Bildforschung und Bildbefragung gewidmet ist.
Jules Spinatsch begann seine Karriere als Reportagefotograf. Im Zusammenhang mit dieser journalistischen Erfahrung entwickelte er ein kritisches Verhältnis zum fotografischen Abbild der Wirklichkeit, das vorgibt, eine objektivierende Qualität zu besitzen. Denn Spinatsch weiss ganz genau, dass die Bilder nur die halbe Wahrheit erzählen, dass sie instrumentalisiert und verfremdet werden und nur einen Ausschnitt der Welt abzubilden in der Lage sind – genau jenen Ausschnitt, den der Autor oder der Operateur einer Bildmaschine der Öffentlichkeit präsentieren will.
Aus dem Archiv einer Fotoagentur stammt beispielsweise das Bild einer „Bloodhound", einer Boden-Luft-Rakete, welche Anfang der 1960er Jahren von der Schweizer Armee als geheime Verschlusssache behandelt wurde – und dann doch ans Licht kam weil die Militärbeamten bei der Rekognoszierung von möglichen Standorten auffällig wurden. Spinatsch zeigt dem Betrachter nicht das durch den Medienskandal bekannt gewordene Kriegsgerät, sondern führt die hinter dem Foto platzierte Bildlegende vor. Diese Bildlegende ist vom Künstler mit einigen Papierfragmenten lose in einen Bilderrahmen eingeschlossen worden, der von den Ausstellungsbesuchern in die Hand genommen und nach eigenem Gusto bewegt werden kann. Infolge dieser subjektiven Manipulationen entstehen jedes Mal neue Relationen zwischen dem Text und dem (unsichtbaren) Bild. Es gehe ihm dabei, so der Künstler, um die „Hinterfragung des Deutungsbefehls durch die Bildlegende".
Spinatsch benutzt für seine vielschichtigen und immer medienreflexiven Installationen und Tableaux denn auch die ganze Bandbreite der möglichen Bildquellen: vorgefundene Fotos, autorenschaftliche Bilder, autobiografische Sujets und maschinell entstandenes Material.
Die Churer Ausstellung trägt den Titel Halbautomat und referiert damit auch auf eine besondere Kategorievon Bildern, auf die der Künstler besonders gerne zurückgreift: Fotos, die im Rahmen eines eng gesteckten konzeptuellen Rahmens entstehen – eine wohldosierte Balance von kalkulierter Autorenschaft und maschinellem Zufall. Seine grossformatigen Panoramen basieren auf dieser Technik; der Künstler lässt sie durch eine programmierten Kameras erstellen, welche die Räume oder Landschaften mit Einzelbildern dokumentiert, die dann am Computerzu einer grossformatigen Gesamtdarstellung spaltenweise und chronologisch montiert werden. In der Churer Ausstellung sind die zwei neusten Beispiele des Werkzyklus ausgestellt: Asynchronous III – The Missing 20 Minutes zeigt ein Panorama des unbenutzten Reaktors im österreichischen Zwentendorf; Sinkende Wertedokumentiert spekulativ die 88-minütige Umbauphase im Schauspielhaus Zürich zwischen den Vorührungen von Schatzinsel nach Stevenson und Sale, dem Händelprojekt des Regisseur Christoph Marthaler mittelseiner Kamera, die alle 30 Sekunden ein Bild aufnimmt – sich systematisch im Bühnenraum von links oben nach rechts unten vorarbeitend.
Wenn Jules Spinatsch die Autorenschaft an eine steuerbare Kamera, also an eine automatisch agierende Bildmaschine delegiert, dann ist das auch ein Statement für eine Objektivierung von Bilddokumenten – eine Objektivierung, die alleine schon mit der Masse der produzierten Sujets herbeigeführt wird. Pro Minute entstanden z. B. für das Panorama des Wiener Opernballs 36 Einzelbilder. So zeigen 10008 Bilder das Gebäude, die Dekorationen, die Ballgäste, die Prominenten, die Adabeis, das Personal. Alles wird mit der gleichen maschinellen Sachlichkeit dokumentiert. Und dochist das Objektivierende ein Trugschluss. Denn die Betrachter sind ob der schieren Masse an Bildinformationen nicht in der Lage, die Gesamtheit all dieser unendlich vielen Details zu erfassen und zu verarbeiten. Big data lässtgrüssen.
Jules Spinatsch hat keinen „moment décisif", keinen entscheidenden Augenblick mitzuteilen, wie ihn Henri Cartier-Bresson einst als Paradigma für das gute fotografische Bild postulierte. Als konzeptuellen Gegenentwurf initiiert Spinatsch eine lange Reise mit der Kamera, eine Fahrt in genau determinierten horizontalen und vertikalen Bewegungsschritten.
Das Resultat ist eine widersprüchliche Kombination von Planung und Zufall, Überraschung und Erwartungen, dessen Rezeption an die Betrachter delegiert wird. Noch pointierter zeigt sich diese Strategie des Delegierens künstlerischer Arbeit beim Projekt mit dem Titel Hasardeur: Während der Vorbereitung zur Ausstellung in der Galerie Luciano Fasciati hat Spinatsch mit seiner steuerbaren Kamera 600 Bilder im eigenen Atelier aufgenommen: Fragmente von Werken, Details des Studios oder auch des 1:10 Modells der Galerie selbst. Alle diese Bilder, die gewissermassen den Prozess der Ausstellungsgenese dokumentieren, hat er dem Galeristen übergeben – verbunden mit dem Auftrag, das Format, die Auswahl und die Hängung der Bilder aus seiner eigenen Perspektive vorzunehmen.
Sein aktuelles Rechercheprojekt trägt den Titel Tableau d'Eclats. Gezeigt wird eine Anordnung kreisrunder Schwarz-Weiss-Fotografien, die den Anschein erwecken, gewaltige Explosionen zu dokumentieren: Bombeneinschläge, Vulkaneruptionen oder die Kollision Extraterrestrischer Energiefelder. Abstrakt und konkret zugleich, lassen die Abbildungen viele Spekulationen und Interpretationen zu, vor allem auch im Kunst-Kontext, der in surrealistischen Formen und Skulpturen offenkundige Entsprechungen hat. Die Auflösung verortet sich im Zwischenbereich all dieser Wahrnehmungspotenziale: Die Bilder sind in Island entstanden, wo vulkanische Energiefelder an die Erdoberfläche treten und in schlammigen Teichen blubbernde, energiegeladene Transformationen produzieren.
Medienreflexion kommt auch hier ins Spiel, wenn der Künstler bei seinen assoziativen Recherchen entdeckt, dass es gewissermassen eine eigenständige Eclat-Theorie gibt, die in Form des Buches L'Eclat c'est moi Eingang in die Publizistik gefunden hat. Helmut Mosers 1989 erschienene „Notizen zu Stand und Begriffen der Skandalforschung", wie es im Untertitel heisst, befassen sich mit den medialen Mechanismen der „Skandalabfuhr". Nach Moser lauten die verschiedenen Stadien der Eskalation: „Enthüllung, Veröffentlichung, Angriff und Verteidigung, Dramatisierung, Etikettierung, Statusdegradierung". Als Spinatsch seine 112 Eklat-Bilder nach formalen Prinzipien in sieben Entwicklungsstufen ordnet, entdeckte er die Analogie von Skandaltheorie und dem formalen Spannungsaufbau, der beim Platzen von vulkanisch heissen Schlammblasenentsteht. Die isländischen Blubber-Fotos bilden so in ihrer formalen Eskalationdie unerbittliche Dynamik des Medienskandals nach – und zwar buchstäblich in allen vier Dimensionen: in der flachen Medien-Wirklichkeit, in der mentalen Verletzung und in der zeitlichen Wirkungskraft, deren Halbwertszeit im Kontext der Spektakelgesellschaft zum Glück für die Betroffenen immer geringer wird.
Christoph Doswald
www.luciano-fasciati.ch